Schnee und Sonne

Busch trägt Zobel, Gras beflockt,
Zweig befiedert, flauschig gelockt.
Haubenpracht auf allen Hügeln,
weiße Stulpen an den Flügeln,
Stamm und Ast in Pelz gehüllt,
Riesel-Ballett im Blick gefüllt.

Dichtes Schweben der Tanz-Myriaden
nimmt die Sonne aus dem Spiel.
Noch unsichtbar der grüne Faden,
doch ersehnbar schon das Ziel.

Wie von Zauberhand gewechselt,
gleiten glitzernde Reflexe,
formen Kappen wie gedrechselt.
Wundersame Wandelstunden,
Aufbruchsstimmung zieht durchs Land.
Schnee und Sonne drehen Runden,
lösen langsam ihre Hand.
Geben sich nun ungebunden,
grüne Ahnung keimt am Rand.

Weiße Decke,
dunkle Flecke,
Buschgestalten,
verzweigt, vernetzt
sind Stamm und Ast,
nur noch wenig Schnee als Last.

Schräge Dächer voller Puder.
Fahles Licht gibt sich verhalten,
Röte gießt sich auf die Ziegel,
schwimmt ins graue Blau hinaus.

Die Sonne übernimmt das Ruder,
hüllt in Licht Baum, Grund und Haus,
löst der Starre ihre Siegel,
führt den Tag ins neue Jetzt.

Ein Hauch hebt sanft den Schleier,
malt uns das Sonnen-Blau.
Im Sommer wie im Winter
funkelt ein Stern im Tau.
Walter Kaiser


Rezension des Gedichts „Schnee und Sonne“ von Walter Kaiser

Wie fast immer zum Jahresende erreichten mich zwei Gedichte von Walter Kaiser Anfang Dezember 2010. Eines ohne Titel und nebenstehendes Gedicht, auf das ich näher eingehen möchte.
Wie immer ist das Gedicht „Schnee und Sonne“ natürlich im Stile Neo-Romantik von Kaiser abgefasst worden. Der Autor versucht in sieben Strophen und 37 Versen einen ungleichen und friedlichen Kampf zwischen Schnee und Sonne darzustellen. Der Sieger ist eigentlich klar; wird die Sonne im Gedicht dreimal erwähnt, taucht der Schnee nur zweimal auf. Ein geschickter Schachzug des Autors.
Die erste Strophe ist im schlichten Paarreim (aabb) Schlag auf Schlag und eingängigem Wilhelm-Busch-Ton nett durchkomponiert. In der zweiten Strophe wechselt Kaiser in den Kreuzreim (abab) über. In der dritten Strophe gelingt es dem Autor nicht, den reinen Kreuzreim beizubehalten, vielleicht auch ein stilistischer Trick des Walter Kaiser. Dann endet bis auf die beiden ersten Zeilen der vierten Strophe und des zweiten und letzten Verses der letzten Strophe der End-reim.
Dem Autor gelingt inhaltlich den Kontrast von Warm (Sonne) und Kalt (Schnee) fast in die Aura des Geheimnisvollen zu hüllen. Sicher ist das Gedicht auch etwas magisch im Sinne der geläufigen Metapher für eine besondere ästhetische Intensität. Kaisers Gedicht besticht auch durch seine Kontraste. So prallt der Gestus der klugen Sentenz auf das sinnlich allzu Greifbare: „Dichtes Schweben der Tanz-Myriaden / nimmt die Sonne aus dem Spiel.“
Das Gedicht „Schnee und Sonne“ ist kein aphoristisches Gedicht, aber es erinnert in seiner Lakonie an Aphorismen (z.B. fahles Licht, glitzernde Reflexe). Kaisers Verse sind auch kaum ein elegisches Gedicht. Zwar spricht es von etwas, was fast alle Menschen in den gemäßigten geographischen Zonen beklagenswert oder gut finden, den „Kampf“ zwischen Sonne und Schnee. Aber Kaiser enthält sich jeglicher Klage und Freude. Er stellt nur fest, in kurzen, unbezweifelbaren Sätzen, was jeder im eigenen Leben im Laufe der Jahre erfährt. Wenn das Gedicht elegisch ist, dann ist es eine Elegie ohne Freude und Klage. Es nimmt hin, was nicht zu ändern ist.
Dabei ist es doch auch ein strenges Gedicht, das auf den Ton abgestimmt ist, das alles vergeht und dann doch wieder kommt, eben ein Wechselspiel darstellt. In diesen nur sieben Strophen von Walter Kaiser ist die knapp bemessene Lebenszeit latent dargestellt, festgelegt durch den starren Wechsel von Tages- und Jahreszeiten.